Manuskripte 2023

Kirchentag in Nürnberg

In dieser Datenbank haben Sie die Möglichkeit, Redebeiträge vom Kirchentag in Nürnberg 2023 einzusehen.

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Sperrfrist
Do, 08. Juni 2023, 15.00 Uhr

Do
15.00–17.00
Zentrum Schöpfungsverantwortung | Podium
Freiheit in planetaren Grenzen
Wie viele Regeln braucht der Klimaschutz?
Till Kellerhoff, Programmdirektor Club of Rome, Winterthur/Schweiz

Sehr geehrte Damen und Herren,

Vielen Dank für die Einladung zum diesjährigen Kirchentag nach Nürnberg. Ich freue mich, heute aus der Perspektive des Club of Rome ein paar Worte zum Thema „Freiheit in planetaren Grenzen – wie viele Regeln braucht der Klimaschutz?“ beitragen zu können. 

Der Club of Rome ist vielen von Ihnen sicherlich ein Begriff, insbesondere für eine vor über 50 Jahren erschienene Studie: Die Grenzen des Wachstums – ein Buch, über das Dennis Meadows, einer der Autoren, später behauptete: „Millionen Menschen fanden die Aussagen des Buches richtig, Millionen Menschen fanden sie falsch und ein paar wenige haben das Buch tatsächlich gelesen“ (ähnlich wie mit der Bibel, ließe sich in diesem Kontext hinzufügen).

Es ging in den Grenzen des Wachstums weder um die Voraussage einer bald einsetzenden Apokalypse noch das Ende des Öls im Jahr 2000, wie es später oft behauptet wurde – und womit die Grenzen des Wachstums sicherlich zu den am häufigsten fehlinterpretierten Büchern des 20. Jahrhunderts gehören.

Der wesentliche Punkt war die Feststellung, dass unendliches materielles Wachstum auf einem begrenzten Planeten nicht möglich ist und die Konsequenz bei Fortsetzung dieses „Fortschrittsmodells“ ein Absinken der wirtschaftlichen Aktivität und Bevölkerung irgendwann im 21. Jahrhundert sein würde – auch als „Kollaps“ beschrieben.

Die damaligen Autorinnen und Autoren waren jedoch nicht so pessimistisch, wie oft behauptet wurde. Sie gingen davon aus, dass aus der Warnung ein Kurswechsel resultieren würde, dass aus Worten Taten folgten und dass neue Fakten zu neuen Handlungen führten. 

Das war, wie wir heute wissen, nicht der Fall und bis heute gehen Erkenntnis und Handlung sehr unterschiedliche Wege. 

Heute können wir getrost sagen: Wir haben 50 Jahre verloren. 

Nicht nur durch eine politische Agenda, in der pseudoliberale Politik wichtiger war als Realitätssinn, wie zum Beispiel die Aussage von Ronald Reagan zeigt, der über Die Grenzen des Wachstums behauptete:  

„Es gibt keine Grenzen des Wachstum und des menschlichen Fortschritts, wenn Männer und Frauen frei sind, ihren Träumen zu folgen.“ 

Aber diese Ideologie wurde auch flankiert durch Ökonomen, die durch „freie Märkte“ kreiertes materielles Wachstum mit menschlichem Wohlbefinden gleichsetzten und davon ausgingen, dass Preissignale das Problem schon richten würden.

50 Jahre später lässt sich nicht mehr bestreiten, dass die Grundaussage der Grenzen des Wachstums korrekt war. Wir haben einige unserer „Planetaren Grenzen“ bereits überschritten (insbesondere Klima und Biodiversitätsverlust, was bei den Diskussionen häufig ein wenig zu kurz kommt), bräuchten inzwischen über 1,7 Erden um den Ressourcenverbrauch auf der Welt nachhaltig zu decken – und noch viel mehr, wenn wir von unserer Wirtschaftsweise in reichen Industrieländern ausgingen, die natürlich das eigentliche Problem sind.

Unser auf exponentieller Steigerung beruhendes System hat inzwischen sogar ein eigenes erdgeschichtliches Zeitalter hervorgerufen, das Anthropozän, in dem der Mensch die treibende Kraft hinter erdgeschichtlichen Prozessen ist und 10.000 Jahre stabile Klimabedingungen außer Kraft setzt und wir uns auf einem Entwicklungspfad befinden, die uns eine Welt bescheren könnte, die die menschliche Zivilisation noch nie erlebt hat.

Bei all der Kritik dürften wir natürlich nicht die positiven Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte vergessen: Die Armutsbekämpfung der vergangenen Jahrzehnte hat enorme Fortschritte gemacht und auch der Hunger auf der Welt ist über lange Zeit gesunken, wobei er momentan allerdings wieder ansteigt. Dies aber als lineare Fortschrittsgeschichte zu erzählen ist falsch, nicht nur wegen der angesprochenen ökologischen Auswirkungen, sondern auch sozialen Krisen, insbesondere massiver Ungleichheit, die damit einhergingen. 

Darüber hinaus ließe sich argumentieren, dass es nicht nur so etwas wie „ökologische Grenzen“ gibt, sondern ebenfalls psychologische Grenzen einer sich immer schneller drehenden und beschleunigenden Welt. Der Soziologe Hartmut Rosa weist darauf hin, dass ständige Beschleunigung, Steigerung und Innovation zum Grundprinzip unserer Moderne gehört und beschreibt wie die ständige Steigerung und Erhöhung unseres Lebenstempos zu Entfremdung und einem Verlust an Weltbeziehung oder Resonanz wie er es nennt erleben. 

Das heißt: Es geht nicht nur um die Abwendung ökologischer Krisen. Es geht auch darum eine gemeinsame Vision zu entwickeln welches ökonomische System es Menschen ermöglicht ein gutes Leben innerhalb der Planetaren Grenzen unseres Planeten führen zu können. Oder anders ausgedrückt: Selbst ohne ökologische Krise, wäre eine Transformation notwendig.

50 Jahre nach den Grenzen des Wachstums, 27 Jahre nach der ersten Klimakonferenz und dennoch ansteigendes CO2 Werten und fünf Jahre, nachdem Greta Thunberg sich mit einem Schild vor den schwedischen Reichstag setzte und damit die wohl wichtigste Bewegung dieses Jahrzehnts initiierte, scheint sich zumindest das Narrativ zu verändern. 

So sagte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres kürzlich: „Wir sind auf dem Highway in die  Klimahölle“ und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sagte vor drei Wochen im Europäischen Parlament bezugnehmend auf die Grenzen des Wachstums: „Ich möchte mich heute auf einen Punkt konzentrieren, mit dem man im Bericht zweifelsfrei richtiglag: nämlich mit der klaren Botschaft, dass ein Wachstumsmodell rund um fossile Brennstoffe eindeutig nicht mehr zeitgemäß ist.“ 

Das heißt: Das Problem ist bekannt und akzeptiert, die kurzfristigen Lösungen liegen auf dem Tisch. Aber was bedeuten diese politischen Lösungen, gerade im Kontext des heutigen Überthemas „Freiheit“ – und was bedeutet dieses Dogma eigentlich?

Wir müssen nicht tief in die Philosophiegeschichte einsteigen, um zu erkennen, dass „Freiheit“ kein eindeutiger, sondern ein sehr ambivalenter, und bisweilen ideologisch aufgeladener, Begriff ist. 

Es gibt Videoausschnitte von empörten Deutschen die sich nach Einführung des Rauchverbots in Bussen in den 70ern über ihren Verlust der Freiheit beklagen: „Ich finde das empörend. Ich empfinde das als Eingriff in meine Freiheit“ wird dort gesagt.

Das mag uns heute absurd vorkommen, denn natürlich bedeutete die Einschränkung für manche hier mehr Freiheit für andere, die keine dicken Rauschschwaden mehr einatmen mussten. Aber es zeigt:

Jede Regel und jedes Gesetz schränkt unweigerlich gewisse „Freiheiten“ ein, schafft dafür aber mitunter neue. 

Im 20. Jahrhundert gibt es viele Beispiele dafür, wie versucht wurde, die schlimmsten Auswüchse des Kapitalismus einzuschränken um Menschen ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe zu ermöglichen. Arbeitszeitregulierung, Mutterschutz oder Mindestlohn können aus libertärer Sicht natürlich als „Einschränkung der Freiheit“ von Arbeitgebern verstanden werden, allerdings sollte man sich vielleicht lieber auf den Zugewinn von Freiheit für die Mehrheit konzentrieren. 

Während wir bei der sozialen Eindämmung unseres Wirtschaftssystems zwar auch noch viel Arbeit vor uns haben, gilt es nun auch das gleiche für die ökologische Dimension zu tun und Freiheit unter Einbeziehung der planetaren Grenzen unseres Planeten zu betrachten. 

Denn diese „Vulgärfreiheit“ wie sie manche nennen, die einfach propagiert dass alles so bleiben soll wie es ist (billiges Fleisch, 220 km/h auf der Autobahn oder keine Masken während einer globalen Pandemie), ist vor allem als trotzige Abwehrreaktionen gegen notwenige gesellschaftlicher Veränderungen zu verstehen. 

Denn bisweilen geht gesellschaftlicher Fortschritt auch mit neuen Regeln und Normen einher, sei im sozialen Bereich durch die Einführung von Arbeitnehmerrechten, oder im ökologischen, zum Beispiel durch ein Verbot des Treibhausgases FCKW in den 1990ern um eine Auflösung des Ozonlochs zu verhindern.

Aber, natürlich sind Verbote keine Ideallösung, es kommt immer auf den Kontext an. Ich möchte nicht zu sehr in spezifische Debatten eingehen, das können wir gerne in der Diskussion, nur so viel: Es gibt verschiedene Wege die Entwicklung in gesellschaftlich vorteilhafte Bahnen zu lenken und entsprechende Leitplanken zu setzen. Verbote, Subventionen und Bepreisungen werden alle eine Rolle dabei spielen und CO2 beispielsweise lässt sich natürlich nicht einfach verbieten wie FCKW. Aber während niemand die massiven positiven Effekte von Instrumenten wie dem Emissionshandels bestreitet, der ja oft als Gegenmodell zu einem Ordnungsrahmen gesehen wird, würde ich  davor warnen, Bepreisung als generell „gerechter“ oder gar „freiheitlicher“ anzusehen, wenn diese nicht von massiven sozialen Programmen begleitet werden. 

Das heißt, die Herausforderung besteht in der eigentlich profanen Feststellung ein Maximum an individueller Freiheit sicherzustellen, ohne dass diese mit den Freiheiten anderer, der Freiheit zukünftiger Generationen und der Begrenztheit unseres Planeten in Konflikt gerät ohne einen Kulturkampf auszurufen und so zu tun als werde die Freiheit der Individuen vor allem auf der Autobahn und der Fleischtheke verteidigt. Im übrigen gerade dann, wenn in so vielen Teilen der Welt wirkliche Kämpfe um Freiheit stattfinden.

Was bei all diesen Debatten wichtig ist: So sehr es sich manche auch wünschen mögen, es wird nicht alles so bleiben wie es ist.

Unsere momentane krisengeschüttelte Welt wird disruptiv und wir stehen vor massiven Veränderungen – sei es, weil wir uns versuchen anzupassen und eine gesellschaftliche, politische und ökonomische Transformation einleiten – oder sei es, weil wir zu lange an altbekanntem festhalten und von der Realität eingeholt werden. 

Ob es überhaupt noch möglich ist ein „gutes Leben“ für zukünftig 9-11 Milliarden Menschen auf der Erde zu garantieren, das heißt ein Leben auf einem stabilen Planeten und unter menschenwürdigen Bedingungen, war die Grundfrage des neuesten Berichts an den Club of Rome, der vergangenes Jahr erschienen ist: Earth4All. 

Wie schon bei den Grenzen des Wachstums haben wir auch hier wieder versucht einen Blick in die Zukunft zu wagen und versucht die Entwicklungen bis ans Ende des Jahrhunderts nachzuvollziehen. 

Nun wissen wir, dass die Geschichte voll ist von falschen Vorhersagen in die Zukunft und man dementsprechend vorsichtig sein muss: 

So sagte beispielsweise Kaiser Wilhelm II im Jahr 1904: “Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd.„ Und Gottlieb Daimler, der es eigentlich hätte besser wissen müssen, orakelte im Jahr 1901: „Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.“

Das heißt, wir wissen, wie schwierig es ist die Zukunft vorherzusagen, und das war weder das Anliegen der Grenzen des Wachstums, noch von Earth4All. Stattdessen ging es darum Szenarien zu entwickeln, die aufgrund unterschiedlicher Annahmen prognostizieren sollen, wie sich die Welt weiterentwickeln könnte.

In dem Buch untersuchen wir vor allem zwei Szenarien:

1) Too Little too Late (zu wenig, zu spät), was im Wesentlichen unseren momentanen Trend fortsetzt und, wie Antonio Guterres es ausdrückte, der Highway in die Klimahölle ist. Aber in diesem Szenario wird nicht nur die Erde zu einem wesentlich ungemütlicheren Planeten, sondern auch Ungleichheit befördert, unsere Gesellschaften destabilisiert und durch das Auseinanderdriften von Gewinnern und Verlieren unseres momentanen Systems Polarisierung gefördert, was Verrückten und Populisten wie Trump oder Bolsonaro oder gefährlichen Rechtsradikalen wie der AfD Auftrieb geben wird. 

Es gibt aber eine Alternative. Das zweite Szenario heißt

2) Giant Leap (der große Sprung), in dem wir in fünf Bereichen „Kehrtwenden“ beschreiben: Energietransformation, Nahrungsmitteltransformation, Reduzierung der Ungleichheit, Reduzierung der Armut und „Empowerment“, also vor allem Gleichstellung von Geschlechtern.

Die Analyse zeigt auf, dass es kein „weiter so“ geben wird. Die Zukunft wird disruptiv. Wir werden radikale Veränderungen erleben.

Sie zeigt aber auch, dass die Disruption nicht in die Apokalypse sondern eine bessere Welt führen kann, dass es eine Alternative gibt und es in einem sich schnell schließenden Zeitfenster durchaus Möglichkeiten gibt, Wohlergehen für die Mehrheit auf einem begrenzten Planeten sicherzustellen. 

Ich werde auf diese Kehrtwenden nicht im Detail eingehen, und wir werden in der Diskussion sicherlich nochmal auf die Verbindungen zwischen sozialen und ökologischen Faktoren im Kontext von Freiheit zu sprechen kommen, nur so viel: Das reichste 1 Prozent (63 Millionen Menschen) hat seit 1990 mehr als doppelt so viel CO₂ ausgestoßen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen. Damit geht auch die Verantwortung einher, die Kosten der Transformation entsprechend zu verteilen, so dass das nicht auf den Schultern der ohnehin ökonomisch schwächsten in der Gesellschaft ausgetragen wird, wenn wir die Funktionalität unserer Gesellschaften garantieren wollen.

All dies zusammengenommen zeigt, dass wir nicht nur im ökologischen Bereich vor massiven Bedrohungen stehen, sondern auch im sozialen. Es muss daher um eine umfassende Transformation gehen, die unsere Energiesysteme dekarbonisiert und unseren Energiekonsum reduziert, die unsere Nahrungsmittelsysteme so umstellt, dass aus einem Treiber des Klimawandels und des Biodiversitätsverlustes Kohlenstoffspeicher werden, die Ungleichheit in den Blick nimmt und Umverteilung nicht als „Verlust von Freiheit“ framt, die den ärmsten Ländern der Welt erlaubt sowohl soziale als auch ökologische Veränderungen umzusetzen, und die sich der Gleichstellung von Geschlechtern verpflichtet, was nicht nur eine normative Selbstverständlichkeit sein sollte, sondern durch bessere Bildung für Frauen, Karrierechancen und anständigen Sozialsystemen zu einer Stabilisierung der Bevölkerung beiträgt. 

Ob das gelingt, werden wir sehen. Von Antonio Gramsci stammt der Satz: „Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“ – und dieser Optimismus des Willens scheint doch zumindest auf einem Kirchentag gut aufgehoben.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


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